Freitag, 27. Januar 2012

"Du Mörder!"

Diese und andere, wenig positiv klingende Aussagen möchte ich den Menschen am liebsten täglich ins Gesicht brüllen. Warum ich das nicht mache? Vielleicht weil mein antrainiertes "gutes Benehmen" es mir verbietet? Oder weil es mir peinlich ist, beim Einkaufen aufzufallen? Bestimmt auch – irgendwie. Aber auch weil es nichts bringt.

Vielen ist es egal, andere realisieren nicht mal, was ich damit meinen könnte. Außerdem war und ist es nun mal so, dass der Mensch Fleisch isst. Punkt.
Klar ärgere ich mich jeden Tag immer wieder über die Gedankenlosigkeit der Menschen um mich herum - und noch mehr über ihre Gleichgültigkeit.
An manchen Tagen verlasse ich lieber gar nicht erst das Haus, weil ich so von allem angepisst bin (sorry, aber so ist es nun mal...leider), dass eigentlich jede (unglückliche) Konfrontation mit Tierkonsumenten nur ganz ganz übel enden kann.
Ich habe zu Beginn meiner "veganen Karriere" auch ständig andere Menschen mit Berichten, Bildern und Videos von gequälten, alles andere als "artgerecht" gehaltenen, getöteten und kurz vor ihrer Schlachtung stehenden Tieren konfrontiert.
Unterm Strich kam dabei heraus, dass einige mir danach großräumig aus dem Weg gingen, weil sie nicht schon wieder diesen Horror ertragen wollten. Tiere konsumierten sie dennoch weiter.
Alles andere steht für die meisten auch gar nicht zur Diskussion. Es war schließlich immer so. Was soll man auch sonst essen, woher die nötigen Vitamine, Eiweiß, Kalzium bekommen? Und letztlich hat der Mensch ja Reißzähne, demnach ist er nun mal ein Fleischfresser...
Ich glaube, ich muss nicht noch mehr Dinge in dieser Richtung aufzählen...kennt doch eigentlich jeder.

Solche Diskussionen haben mich dann ganz oft an den Rand des Ertragbaren gebracht.
Ich habe doch schließlich gesehen und verstanden, was den Tieren wegen eines Schnitzels, einem Schuss Milch für den Kaffee und dem Sonntagsfrühstücks-Ei angetan wird. Warum sehen es andere Menschen nicht?
Und hier ist dann direkt mein erster "Verständnisfehler": Sie können es sehen. WENN sie nur wollen. Aber sie es wollen nicht.
Daher auch immer der verlegene Blick und Aussagen wie "ich esse aber nur ganz wenig und ganz selten Fleisch", die sofort kommen, wenn man nur erwähnt, dass man selbst keine Tiere isst. Es reicht wirklich nur diese Aussage, schon sehen sich Tierkonsumenten scheinbar zu solchen "Entschuldigungen" genötigt.

Face the facts...Diese Menschen sind einfach besser im Verdrängen als ich als ethisch-moralisch motivierter Veganer.

GoAnimate.com: Das Vegane Strichmännchen by Una_poeta

Zu Beginn war ich (natürlich) auch noch Feuer und Flamme und habe immer und überall mit jedem diskutiert und versucht, die Menschen zu ändern.
Es war eine harte Lehre für mich, zu sehen, dass niemand über das vegan Sein auch nur nachdenken möchte, wenn er als schlechter Mensch oder gar Mörder bezeichnet wird.

Im Laufe der Zeit hatte ich immer weniger Lust zu Diskutieren, dieses ständige sich im Kreis Drehen bei den immer wiederkehrenden Themen, Entschuldigungen, Ausreden (rein faktisch gibt es nun mal kein Argument FÜR den Tierkonsum...das erkennen die meisten sogar an). Es hat echt an meinen Nerven und auch an meiner Geduld gezehrt, wenn ich zum gefühlten 6.428sten Mal erklärt habe, dass ich nicht vorrangig an der Zerstörung des Regenwalds schuld bin, nur weil ich Tofu esse.

Bilder von gequälten oder toten Tieren konnte ich irgendwann nicht mehr ertragen. Ich reagierte zunehmend mit Zynismus auf Fragen zum Veganismus, sofern diese von Tierkonsumenten kamen, und ich hätte mich am liebsten völlig aus dem Ganzen rausgeklinkt.
Einfach mal ein Affe sein...nichts sehen, nichts hören - und nichts sagen (müssen).

Ich habe bis heute noch arge Probleme damit, wenn jemand über (sein) nicht-veganes Essen spricht, z.B: "wir hatten gestern Steaks", da "nur" ein Steak zu verstehen.

Solche Äußerungen setzen bei mir immer gleich eine ganze "Maschinerie" von Bildern, Geräuschen und sehr unschönen Emotionen frei.
Ich denke dabei nicht nur an eine Mahlzeit, ich höre die Schreie, sehe Angst, Panik, Leid und Verrat.
Äußerungen wie: "wofür sind denn Schweine/Rinder/Hühner/... da, wenn nicht zum Essen?" sind für mich Ohrfeigen oder auch Schläge in den Magen, die mir immer wieder die Luft rauben.
Ich will und kann so absurde Diskussionen nicht mehr führen, die letztendlich immer darauf hinauslaufen, dass ich der Spinner bin, da die Anderen, die "Normalen", ja nur das machen, was Menschen schon immer getan haben und was gesellschaftlich absolut akzeptiert, ja gewünscht, ist.

Also Klappe halten, Augen zu und durch.

Ich dachte dann, ich könne mit Veganern, also Menschen die genauso denken und fühlen wie ich, über meine Gedanken, Gefühle und auch Aktivitäten zu diesem Thema reden, aber auch das ist nicht so einfach.
Wobei ich hier vorweg sagen möchte, dass ich mit den meisten vegan lebenden Menschen, mit denen ich in Kontakt komme (und die ich inzwischen auch nicht mehr missen möchte), bei den unterschiedlichsten Themen, die den Veganismus betreffen, auf der gleichen Wellenlänge liege. Daher sind das Zusammensein und gemeinsame Aktivitäten mit diesen Menschen immer ein bisschen wie das Schweben auf einer rosaroten veganen Wolke..

In meiner endlosen Naivität als veganer Neuling, dachte ich, dass alle Veganer irgendwie gleich "ticken" - tun sie aber nicht. Ich habe ganz oft das Gefühl, dass es regelrechte Wettkämpfe gibt, wer denn nun veganer als der andere oder gar am vegansten lebt.
Und lassen bestimmte Gedanken einen womöglich schon wieder „unvegan“ sein, obwohl gar keine tierischen Produkte konsumiert werden? Darf ich noch nicht-vegane Freunde haben?
Muss ich wirklich restlos alles nicht-Vegane aus meinem Leben entsorgen, um wirklich restlos vegan zu sein? Muss ich im ständigen Kampf gegen die (nicht-vegane) Welt stehen oder darf ich einfach mal nur leben und mich auch freuen, dass es mir gut geht? Darf ich meine Zeit auch mal nicht missionierend verbringen? Darf ich Veganer gut finden, die "100%-Veganer" ganz doof finden?

Schon wieder ganz absurde Gedanken und Diskussionen.

Ich mag die Rezepte und auch die Medienpräsenz von Attila Hildmann. Ich habe viele schöne und für mich sehr sinnvolle Aussagen von Helmut F. Kaplan gefunden. Ich mag das Essen im Loving Hut und die Aktionen von Tier-Time e.V.. Ich treffe mich auch weiterhin mit nicht-Veganern!
Da darf jetzt jeder gerne über mich sagen und denken, was immer er/sie will. Von mir aus bin ich nach deren Definition dann auch kein "guter Veganer"...I don't care!

Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass ich weder mit der "Kopf-durch-die-Wand“-Strategie etwas bei Tierkonsumenten erreiche, noch dass ich mit der Zeit bei diesen Themen völlig abstumpfe, und dass ich keine Lust und Zeit habe, mir über die Meinungen anderer Veganer Gedanken zu machen.
Ferner habe ich kein Verlangen mehr danach, immer wieder Diskussionen mit Tierkonsumenten (gerade auch im Internet) über Sinn und Unsinn des Tierkonsums oder darüber zu führen, was ich tun muss, damit ich noch veganer werde.

Auf die Dauer macht mich das krank und depressiv.
Ich nutze jetzt viel lieber Rezepte von allen möglichen vegan-lebenden Menschen und überschütte nicht-Veganer mit veganem Essen, um ihnen zu zeigen, dass Veganer nicht nur Gras, Körner und rohen Tofu essen (müssen).
Dabei kann ich immer wieder auf unaufdringliche und un-missionarische Weise erklären, dass ich eben kein Ei für den Kuchen und keine (tierische) Milch für einen Latte Macchiato brauche, und kann so Berührungsängste mit dem Thema abbauen und Interesse aufbauen.
Ganz ohne Moralkeule für die anderen, ganz ohne Magengeschwüre und Depressionen für mich.

Das Leben ist schön!
Tanja

5 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Wow, ein sehr guter Beitrag, du sprichst mir damit wirklich aus der Seele!! Am besten kenne ich das, wenn jemand von seinem Steak oder Schnitzel erzählt, ich denke dann auch nicht an eine Mahlzeit sondern sehe sofort im Kopf einen Film ablaufen wie das Tier vom überfüllten Maststall in den Tiertransporter getreten wird und dann bei seiner Schlachtung zu Bewusstsein kommt. Ich frage mich wirklich immer öfter wie das sein kann, dass es Menschen gibt die all das Leid sehen und welche denen es egal ist?? Liegt es an den Genen oder an der Erziehung? Ich bin aus meiner Familie die Einzigste, die "so tickt" und das Leid sieht, dann kann es einem ja nicht in die Wiege gelegt worden sein?? Ich weiss es wirklich nicht... Aber es macht Mut wenn man solche Texte liest wie deinen Beitrag hier :-) wir sind nicht alleine :-) LG...

Mausflaus hat gesagt…

toller Text! du sprichst mir aus der Seele. Vielleicht solltest du das mal als Brief an Achim Stößer schicken. Wobei er wahrscheinlich mindestens so uneinsichtig ist wie ein Fleischesser, dem man das Schnitzel vom Teller zieht.

ich finds auch ganz wichtig, auf sich selbst zu achten. man muss mit dem, was man tut, glücklich sein; und wenn diskus stressen, dann sollte man sie lieber nicht oder zumindest nicht in dem umfang führen. deswegen schreibe ich bei meinem blog auch nur, worauf ich lust habe, und nicht mit der ambition, irgendetwas zu bewirken. vielleicht auch ein bisschen, aber in erster linie aus spaß an der freude.
und am meisten bewirkt man sowieso, indem man die vegane lebensweise vorlebt und einen positiven eindruck hinterlässt!

Elsa hat gesagt…

Super Text. Du beschreibst genau den Punkt, andem ich gerade selbst auch bin. Am Anfang meiner veganen Zeit wollte ich jedem die Greueltaten auf den Bauch binden, die er mit seinem Konsum verursacht. Es funktionierte nicht, aus denen von dir genannten Gründen. Zur Zeit empfinde ich noch nichtmal mehr Abscheu den Menschen in meiner Umgebung gegenüber, die z.B. mit mir am Mittagstisch ihr Schnitzel essen. Ich denke mir maximal, dass sie es eben für sich so entschieden haben und ich damit leben muss. Missionieren bringt meiner Meinung nach überhaupt nichts.

Kathi Kaffee hat gesagt…

Ein wirklich guter Text, dass kenne ich noch alles sehr sehr gut. Ich mache mir auch Gedanken darüber, ob man gerade weil man in diesem Punkt anders ist als die meiste Bevölkerung sonst ganz freundlich und "normal" erscheinen sollte, einfach damit sie die Berührungsangst wie Du so schön sagst verlieren.
Egal für was man sich entscheidet, leicht ist es auf keinen Fall.

Yv hat gesagt…

Das kenne ich auch. Im Alltag gelingt es mir zwar meistens, meine Gefühle auszublenden, aber wenn ich im Supermarkt (den versuche ich aber inzwischen zu meinden) an der Kassa stehe und sehe wie die Leute ihr Billigfleisch ausbreiten, möchte ich sie am liebsten auch darauf ansprechen.
Warum tue ich es nicht? Darüber muss ich auch erst mal nachdenken..