Sonntag, 24. Januar 2010

Offener Brief zur Petition: Nein zum Tierversuchszentrum in Hannover

Die Petitionsfrist ist im Januar 2010 abgelaufen und die Petition wird die Adressaten in den nächsten Tagen mit folgendem Anschreiben auf dem Postweg erreichen.

Offener Brief zur Petition: Nein zum Tierversuchszentrum in Hannover

Adressaten:
  • Ulrich Pitkamin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH
  • Dr. Albrecht Kissel, Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH
  • Dr. Randolph Seidler, Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH
  • Dr. Gerhard Greif, Präsident der Tierärztlichen Hochschule Hannover
  • Stephan Weil, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover
  • Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie beabsichtigen, mit neuen Impfstoffen Infektionskrankheiten vorzubeugen, den Gesundheitszustand der Nutztierbestände zu verbessern und den Einsatz von Antibiotika zum Schutz für Tier und Mensch zu vermindern.

Angesichts des gestiegenen Umsatzes durch die Vermarktung von Impfstoffen für Nutztiere (bei Boehringer von 108 Mio Euro in 2007 auf 300 Mio Euro in 2008) ist mit steigenden Gewinnen auch in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen. Diese Gewinnprognosen rechtfertigen Forschungs- und Entwicklungskosten von 30 bis 50 Mio Euro pro Impfstoff. Zudem ist mit einem weltweiten Anstieg der Nutztierhaltung und somit auch des Impfstoffbedarfs zu rechnen.

In den letzten Jahrzehnten entstanden große und einflussreiche Industriezweige in der Nutztierhaltung, deren Existenz davon abhängt, dass sich an der extrem ungesunden und unnatürlichen Haltungsform der Tiere nichts ändert, da nur mit intensiver Massentierhaltung profitable Gewinne erwirtschaftet werden können.

Großunternehmen planen Mastanlagen mit bis zu 80.000 Mastschweineplätzen. Hierbei geht es einzig um den Profit auf Kosten empfindsamer Mitgeschöpfe. Siehe hierzu neue Erkenntnisse in der Schmerzforschung mit Tieren (INRA-Studie, siehe Anlage).

Aus diesen widernatürlichen Haltungsbedingungen resultieren zahlreiche Erkrankungen, z.B. Atemwegserkrankungen und Darmerkrankungen. Als Konsequenz werden Mastschweinen vorbeugend große Mengen von Medikamenten verabreicht. Viele dieser Krankheiten können heute noch nicht befriedigend mit Impfstoffen verhindert werden. Darüber hinaus verschärft eine zunehmende Antibiotika-Resistenz bei vielen bakteriellen Erkrankungen die Situation.

Die Anpassung der Tiere an die tierfeindlichen Lebensbedingungen durch Impfungen verbessert nicht deren Haltungsbedingungen, im Gegenteil. Ihr entstehendes Forschungszentrum für Tierimpfstoffe wird dazu beitragen, die Massentierhaltung zu stärken und die Fehlentwicklung in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung voranzutreiben. Immer mehr leidensfähige Mitgeschöpfe, die fast immer eng zusammengepfercht und bei Dämmerlicht vegetieren müssen, werden ausgebeutet.

Profitierende dieser tierausbeutenden Praktiken sind die Betreiber der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung mit hohen Besatzdichten sowie die Pharmaindustrie.

Seit 2007 protestieren engagierte Tierschützer mit tatkräftiger Unterstützung durch Anlieger gegen den Bau des Forschungszentrums in Hannover.

Im letzten halben Jahr wurden 3124 Unterschriften gegen Ihr Vorhaben in Form der beigefügten Petition zusammengetragen. Dazu kommen die über 5500 Unterschriften der Bürgerinitiative. Immer mehr Menschen stehen Massentierhaltung und Tierversuchen kritisch gegenüber.


Wir, die Unterzeichner der Petition, appellieren an die Empfänger (siehe oben), ihrer sozialen Verpflichtung gegenüber Mensch und Tier nachzukommen, indem
  • Haltungsbedingungen unterstützt werden, die Versuchs- und Nutztieren in landwirtschaftlicher Nutztierhaltung und Versuchslaboren ein „artgerechtes“ Leben ermöglichen und
  • einen angemessenen Anteil des Forschungs- und Entwicklungsetats in tierversuchsfreie Grundlagenforschung zu investieren. Hierbei ist die Nähe zur Tierärztlichen Hochschule sicherlich von Vorteil.
Haltungsbedingungen, die „unseren Nutztieren“ ein „artgerechtes“ Leben ermöglichen, haben den Vorteil, dass der Einsatz von Medikamenten um ein Vielfaches verringert wird, was auch dem Konsumenten zugute kommt. Die Entwicklung von Alternativmethoden zu Tierversuchen ist ein Beitrag zur Gesunderhaltung von Tieren und damit aktiver Tierschutz. Auf den Internetseiten Boehringer Ingelheims ließen sich keine Informationen zu tierversuchsfreien Forschungsmethoden finden.

Mit der Bitte um Stellungnahme zu den Themen Nutztierhaltung, tierversuchsfreie Forschungsmethoden und den Einwendungen zum Tierschutz (siehe Anlage) grüßen Sie im Namen aller Unterzeichner der Petition

Michael Simon und Antje Vasenthien


Anlage

Tierschutz erste Einwendung
Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Planung des Bauvorhabens die gesetzlichen, zwingend anzuwendenden Bestimmungen des TierSchG berücksichtigt werden. Eine Betriebsgenehmigung gemäß § 11 TierSchG ist zu versagen. Das Tierschutzgesetz (TierSchG) ist als Gesetz zu dem Zweck erlassen worden, "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen." Grundsätzlich gilt: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen" (§ 1 TierSchG). Das Tierschutzgesetz beruht heute verfassungsrechtlich auf dem Staatsziel Tierschutz in Art. 20a GG.

Artikel 20a Grundgesetz: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Fassung aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) vom 26.7.2002 (BGBl. I S. 2862) m. W. v. 01.08.2002.

Die Haltung der Versuchstiere ist nicht artgerecht. Eine nicht artgerechte Haltung stellt für sich betrachtet eine auf Dauer (Dauer der Haltung) angelegte Beeinträchtigung der Lebensmöglichkeiten des Tieres dar, die zu Schäden führt. Wenn Versuchstiere, die für S2-Versuche verwendet werden nach den einschränkenden Bedingungen der S4-Risikostufe gehalten werden, so verstößt dieses gegen § 1 TierSchG, denn es gibt keinen vernünftigen Grund hierfür im Sinne des Tierschutzgesetzes.

Tierschutz zweite Einwendung
Der Tierschutz wird nicht beachtet. Impfstoffforschung ist unweigerlich mit qualvollen Tierversuchen verbunden, die insbesondere in den geplanten Ausmaßen nicht erforderlich sind. Außerdem dienen Tierimpfstoffe keineswegs dem Wohle der Tiere, sondern letztlich dem Profit der Tierarznei-Pharmaindustrie und der Fleischindustrie, da die Tierimpfstoffe die Fortsetzung der mit dem Antibiotika-Missbrauch vor ca. 40 Jahren entstandenen Massentierhaltung erst ermöglichen sollen.

Stress, Enge und Leistungsdruck machen die Tiere der heute üblichen industriellen Nutztierhaltung zur Fleischerzeugung anfällig für alle Arten von Krankheiten, insbesondere auch Infektionskrankheiten. Durch Antibiotika versucht(e) man diese Infektionskrankheiten einigermaßen in Schach zu halten. Impfungen sollen nun an die Stelle der Antibiotika treten. Die jetzt bestehende Chance, die industrielle Massentierhaltung zum Wohle der Tiere rückgängig zu machen, wird jedoch nicht genutzt.

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